Pressemappe
04.12.2024
ZurückStaatsanwalt Laurent Maye und die Staatsanwaltschaft agieren im Fall der wegen Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagten Polizisten in der Rolle der Verteidigung.
Medienmitteilung der Unabhängigen Kommission zur Aufklärung des Todes von Roger Nzoy Wilhelm
Für die Unabhängige Kommission zur Aufklärung des Todes von Roger Nzoy Wilhelm kommt die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft leider wenig überraschend, so schockierend sie auch ist. Die Kommission sieht darin einen Ausdruck struktureller Gewalt und skandalöser Parteilichkeit, wie sie in solchen Verfahren regelmässig zu beobachten sind.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) betont, dass gerade bei solchen Verfahren gründliche Ermittlungen wesentlich sind, um künftige Übergriffe zu erschweren, der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen, das Recht auf Wahrheit zu sichern und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Durch die vorliegende Verfahrenseinstellung sollen Polizeipraktiken einmal mehr straflos bleiben, bei denen Menschen tendenziell allein aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres sogenannt auffälligen Verhaltens als gefährlich eingestuft und misshandelt werden (im vorliegenden Fall war das Verhalten die Folge einer verletzlichen psychischen Verfassung). Des Weiteren zeigt sich, dass die Waadtländer Staatsanwaltschaft die Rechenschaftspflicht sowie weitere grundlegende Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht ernst nimmt. Mit der Einstellung der Ermittlungen zum Tod von Roger Nzoy verhindert der stellvertretende Generalstaatsanwalt Laurent Maye eine umfassende Aufklärung und verantwortet somit eine schwere Verletzung des Rechts auf Leben gemäss Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Seine voreingenommene Untersuchung und die Einstellungsverfügung setzen das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Gewaltmonopol des Staates aufs Spiel.
Interventionen von Staatsbeamt:innen müssen in gerichtlichen Verfahren zwingend daraufhin untersucht werden, ob rassistische Motive eine massgebliche Rolle gespielt haben, wie der EGMR kürzlich betonte (EGMR, Wa Baile v. Schweiz vom 20. Mai 2024, Anträge Nr. 43868/18 und 25883/21). Schon früher hielt der EGMR fest, dass bei Verletzungen im Kontakt mit der Polizei dem Verdacht auf diskriminierende Handlungen und Motive nachgegangen werden muss (EGMR, Salman vs. Türkei vom 27. Juni 2002, Antrag Nr. 21986/93, § 100; EGMR, Bouyid vs. Belgien vom 28. September 2015, Antrag Nr. 23380/09, § 84).
Im vorliegenden Fall ist die Unabhängige Kommission zur Aufklärung des Todes von Roger Nzoy Wilhelm der Ansicht, dass Staatsanwalt Laurent Maye keine ausreichende Ermittlungsarbeit geleistet hat. Er hat die Frage des systemischen Rassismus ausser Acht gelassen und nicht untersucht, ob dem Eingreifen der Polizeibeamten auch Elemente rassistischer Diskriminierung zugrunde lagen.
Die Einstellungsverfügung zeugt von der Parteilichkeit der Untersuchung: Die Staatsanwaltschaft wäre verpflichtet, ihre Anträge auf eine gründliche, objektive und unvoreingenommene Analyse aller relevanten Fakten zu stützen, agiert hier aber in der Rolle der Verteidigung der beschuldigten Polizist:innen. Der Staatsanwalt gebärdet sich als Schiedsrichter, obwohl diese Funktion im Fall von mutmasslicher Tötung durch Staatsbedienstete dem Gericht zukommt.
Die Kommission unterstützt die Einreichung einer Berufung bei der Beschwerdekammer für Strafsachen des Kantonsgerichts durch Nzoys Familie und deren Anwalt. Die Kommission fordert, dass die Polizist:innen vor Gericht gestellt werden. Weiter fordert sie die Waadtländer Staatsanwaltschaft auf, den Fall an eine Behörde eines anderen Kantons zu übergeben, um den internationalen Verpflichtungen in Bezug auf eine effektive und unparteiische Untersuchung Folge zu leisten.
Für Anfragen oder Vorschläge ist die Kommission unter folgender Adresse erreichbar: contact@nzoycommission.org