Medienmitteilung
17.10.2023
ZurückKontext zum Fall Roger Nzoy Wilhelm
Roger Nzoy Wilhelm wurde am 30. August 2021 von einem Beamten der Regionalpolizei im Beisein drei weiterer Polizist:innen am Bahnhof Morges erschossen und lag danach mehrere Minuten ohne Hilfeleistung auf dem Boden. Der Tod von Roger Nzoy Wilhelm reiht sich ein in Vorfälle massiver – teils tödlicher – Gewalt gegen People of Color in der Schweiz. Alleine im Kanton Waadt sind in den letzten Jahren bereits Hervé Mandundu, Mike Ben Peter und Lamin Fatty infolge von Polizeieinsätzen verstorben. In keinem dieser Fälle wurden die beteiligten Polizeibeamten verurteilt. Aus diesem Grund hat sich eine Unabhängige Kommission von Expert:innen zur Aufklärung der Umstände des Todes von Roger Nzoy Wilhelm konstituiert.
Nun ist die Arbeit der Kommission akut dringend geworden. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Waadt, die mit dem Fall Roger Nzoy Wilhelm betraut ist, beabsichtigt, eine Einstellungsverfügung bzw. eine Nichtanhandnahmeverfügung wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung gegen die beteiligten Polizeibeamt:innen zu erlassen. Die Staatsanwaltschaft ist für die Untersuchung von Fällen polizeilicher Gewalt zuständig, obwohl zwischen diesen beiden Institutionen eine starke Verflechtung besteht. Der Gesetzgeber hat keine unabhängige Stelle für Fälle von Polizeigewalt geschaffen, weshalb eine zivilgesellschaftliche Kontrolle dringend erforderlich ist.
Unabhängige Expert:innenkommission
Die unabhängige, zivilrechtliche Expert:innenkommission setzt sich die umfassende Aufklärung der Umstände, die zum Tod von Roger Nzoy Wilhelm am Bahnhof Morges geführt haben zur Aufgabe. Die Kommission ist interdisziplinär und besteht aus renommierten Fachpersonen aus den Bereichen Rechtswissenschaften, Medizin, Forensik und Sozialwissenschaften. Die Kommission arbeitet unentgeltlich, um im Interesse der Bevölkerung Menschenrechte in der Schweiz geltend zu machen.
Die Unabhängige Kommission orientiert sich an der Internationalen Unabhängigen Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod des Oury Jalloh. Oury Jalloh wurde im Gefängnis in Dessau von der Polizei zusammengeschlagen und verbrannt. Die Kommission deckte nicht nur schwerwiegende Mängel bei der Aufarbeitung des Falles Oury Jalloh auf, sondern enthüllte auch systematische Diskriminierung, Vertuschung von Indizien durch Polizei und Staatsanwaltschaft sowie andere Tötungen durch die Polizei in derselben Polizeiwache.
Die Unabhängige Kommission zur Aufklärung der Wahrheit über den Tod von Roger Nzoy Wilhelm prüft das rechtliche und polizeiliche Verfahren, die Ermittlungsakten und die dazugehörigen Beweismittel der Justiz umfassend und analysiert diese, um allenfalls Gegengutachten zu erstellen. Sie beobachtet den Rechtsprozess und vergleicht den Fall Roger Nzoy Wilhelm mit anderen Todesfällen.
Spezifisch prüft die Kommission, ob der Einsatz der Schusswaffe rechtlich gerechtfertigt und notwendig war und ob Wilhelms Tod durch geeignete Erste-Hilfe-Massnahmen durch die Polizei hätte verhindert werden können. Dazu gehört eine umfassende Untersuchung, ob und gegebenenfalls welche strukturellen Mängel bei der Untersuchung und Verfolgung polizeilicher Übergriffe die Verhinderung der Aufklärung begünstigen. Dazu gehört auch die Einordnung der Umstände, die zum Tod von Roger Nzoy Wilhelm geführt haben, in den historischen und gesellschaftlichen Kontext in der Schweiz.
Die Kommission wird den Fall unterstützen, bis er aufgeklärt ist, notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenreche in Strassburg.
Die unabhängige Expert:innenkommission hofft durch ihre Arbeit zur Verhinderung weitere Tötungen beizutragen.
Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.nzoycommission.org/
Medienanfragen an: nzoycoordination@gmail.com
Spenden an: CH56 0900 0000 1621 8721 2, Kommission Nzoy, Moserstrasse 30, 3014 Bern
Mitglieder der Kommission
Rechtsexpert:innen
Dr. Philip Stolkin (Rechtsanwalt)
Benjamin Stückelberger (Jurist, Kriminologe, DJS)
Brigitte Lembwadio Kanyama (Rechtsanwältin)
David Mühlemann (Jurist)
Maïna Aerni (Juristin)
Soraya Stock (Juristin, Bündnis Justice4Nzoy)
Yann Vincze (Jurist)
Yosina Koster (Juristin)
Mediziner:innen/Psycholog:innen/Forensiker:innen
Prof. em. Udo Rauchfleisch (em. Prof. Dr. Klinische Psychologie)
Dr. Maja Hess (Ärztin)
Dr. Martin Herrmann (Allgemeinchirurg)
Dr. Max Linus Bauer (Dr. med.)
Sozialwissenschaftler:innen
Prof. em. Udo Rauchfleisch (Psychologe)
Dr. Noémi Vanessa Michel (Politologin)
Dr. Claske Dijkema (Soziologin/Geographin/Konfliktforscherin)
Dr. Tino Plümecke (Soziologe/Wissenschaftsforscher/Rassismusexperte)
Dr. des. Claudia Wilopo (Kulturwissenschaftlerin/Geographin/Rassismusexpertin)
Jovita dos Santos Pinto (Geschlechterforscherin/Kulturwissenschaft/Rassismus- und Kolonialismusexpertin)
Nada Sayed (Islamwissenschaftler*in)
Emanuel Haab (Transdisziplinaritätsforscher)